Es war wieder soweit. Der metaphorische Zuckerschock im Spielewunderland hat die Sinne der spielbegeisterten Bevölkerung geflutet. Die SPIEL 2023 war genau das, was sie sein sollte: Bunt, laut, voll und wie so oft ein wunderbares Erlebnis, das für mich in diesem Jahr auch mit Begegnungen mit tollen Menschen zu tun hatte, erwartete und unerwartete. Da waren ode. und die Entstehungsgeschichte von „Planta Nubo“, Steffen Mühlhäuser und das Ende mit Neuanfang für Steffen Spiele und Michael Menzel mit seinen Drachen, die keine Drachen sind. Da waren spannende und lustige Treffen mit Verlagsmitarbeitern, wobei diese Bezeichnung viel zu bürokratisch und langweilig ist für die Leute, die ich kennenlernen oder wiedersehen durfte. Rundheraus gesagt: Die SPIEL 2023 war ein Fest.
Und jetzt von vorne: Angereist sind wir – ich war mit Freund und Kollege TC unterwegs – schon am Dienstagabend, man will sich ja vor der Neuheitenschau am Mittwoch nicht morgens abhetzen müssen. Abends gemütlich was essen, unterwegs ein goldenes Kalb in einem von Würfeln besetzten Biergarten entdecken (fragt nicht, ich hab auch keine Ahnung warum) und am Mittwochmorgen endlich los, zur Neuheitenschau. Bevor die öffnete, wurde der Deutsche Spielepreis verliehen: Rang eins ging an „Planet Unknown“, gefolgt von „Dorfromantik“ und „Heat“. Bestes Kinderspiel ist „Mysterium Kids“.
Erfreuliches Treffen mit Michael Menzel und „Drachenhüter“
Dann: Eines der ersten erfreulichen Erlebnisse der SPIEL 2023 war direkt um die erste Ecke bei der Neuheitenschau ein sympathisches Aufeinandertreffen mit der PR-Abteilung von Kosmos inklusive Michael Menzel, der seine „Drachenhüter“ vorstellt und Shei und Isra C., die über „Die Weiße Burg“ berichten (Rezension folgt). Dann wär da noch die Geschichte des Flederrindrachens. Eine ganz seltene Spezies, von der es nur fünf Exemplare gibt. Es ist die handgemachte Plüschtierversion des Coverdrachen von „Drachenhüter“ – und die personifizierte Knuffigkeit.
Nach Kosmos ging’s durch die Neuheiten und schnell war klar, dass es in diesem Jahr wieder unfassbar viele, interessante Spiele zu erkunden geben wird. Und auch einige Kuriositäten waren zwischen all den Spielen zu finden. Ein Tee süffelnder Brite („Tea Time Crime“ – Rezension folgt), ein wegrennendes Mangawesen und ein freudig voranmarschierender Meeps, zum Beispiel. Letzterer ist das neue Messemaskottchen, das oben erwähnter Menzel gestaltet hat. Fans oder solche, die es werden wollen, konnten Meeps auf dem offiziellen SPIEL-2023-Merch wiederfinden oder ihn sich selbst an einem Stand auf der Galeria als Miniatur anmalen.
Natur, Solar-Punk und weniger Plastik
Nach Trends auf der SPIEL 2023 gefragt, würde ich sagen: Immer noch sehr, sehr viel Naturthematik von Tiere, Blumen und Wald über Klima- und Naturschutz bis Zukunftsvisionen mit künftiger Energieversorgung („E-Future“) oder Solar-Punk („Planta Nubo“, „Earthborne Rangers“). Dazu passt, dass Verlage weiter Verpackungen reduzieren, sei es für Karten, die mit Papierbanderole daherkommen, oder mit runden Klebekreisen versiegelten Spielboxen. Beides muss dann nicht mehr in Folie geschweist werden. Bei „Kutna Hora“ (Heidelbär/CGE) geht das noch einen Schritt weiter: Die nach Plastik aussehenden Token sind aus Holz gepresst – spannender Ansatz, der hoffentlich weiterverfolgt wird.
Gern genommen ist auch weiterhin die nächste Videospiel-, Film- und Serienadaption im Brettspielformat: „E.T.“, „Zurück in die Zukunft“, die Marvel-Superhelden- oder Star-Wars-Filmreihe oder „The Nightmare before Christmas“ haben genauso ihre (nächste) spielerische Version bekommen wie die Serien „Stranger Things“ oder „Game of Thrones“. Ins Analoge übertragen wurden beispielsweise „Zoo-Tycoon“ oder das Spiel des Jahres „Dorfromantik“, das jetzt auch gegeneinander gespielt werden kann: „Dorfromantik – Duell“. Serie und Videospiel sind Grundlage von „The Witcher“, für den man bei Asmodee lange anstehen musste.
Von Spielen aus Realität entführen lassen
Viel Fantasy, viel bunt und magisch, viel will weg von einer Realität voller Krisen und Horrormeldungen, die seit einigen Jahren gefühlt noch viel mehr als früher unser aller Leben bestimmen. Da scheint es geradezu unausweichlich, dass mit „Lorcana“ ausgerechnet ein Disney-Sammelkarten-Spiel, erschienen bei Ravensburger, zu einem riesigen Hype und einer so langen Schlange führte, dass ein Tor zur Halle 7, eigentlich „nur“ Zugangshalle, geöffnet werden musste. Das Art-Work ist vielerorts beeindruckend schön, es passt, dass ode. am nächsten Tag sagen wird, dass Spiele Geschichten erzählen wollen.
Auffällig ist auch, wie viel Crowdfunding inzwischen hinter Spielen steckt – und wie viele Unterstützer genervt davon sind, dass sie noch auf ihr Paket warten, während die Spiele auf der Messe verkauft werden. Da hilft auch ein Hinweis der Marke „die wichtigsten Tage des Jahres“ oder „wir brauchen das Geld“ nicht, wenn ihr mein Geld schon habt. Aber gut, da war ich vielerorts sicher nicht die einzige.
Vorbei an langen Schlangen in die erste Halle
Kollege TC hat es übrigens geschafft, noch vor der eigentlichen Messe in einer der Hallen ein Spiel zu kaufen. „Ankh“ heißt es und ein uns unbekanntes, aber sehr nettes, Englisch sprechendes Ehepaar versicherte uns im Fahrstuhl, dass es ein ganz wunderbares Spiel sei, dass sie bei Kickstarter unterstützt haben und sehr mögen. Man kann es nicht oft genug sagen: Zur SPIEL ist die Stadt voller Spieler. Wir sind überall! Kurz darauf waren wir übrigens in der Hotelbar, um zu tun, was man zur Spielemesse immer tut: Gleich abends das erste Spiel testen, diesmal war es „Goblin Coaster“.
Nächster Tag – erster Messetag. Die Freuden des Tickets der Akkreditierten: Wir gehen an seeeeeeeehr langen Schlangen vorbei in die Hallen, die noch so leer sind, wie man es sich eine halbe Stunde später absolut nicht mehr vorstellen kann. Fun-Fact am Rande: Wir haben ein Spiel wiedergesehen, dass uns vor ungefähr genau einem Jahr (SPIEL 2022) wirklich großen Spaß gemacht hat. In der Hotel-Bar, beim abendlichen Spielen. Als fünf junge Menschen am Nebentisch ungefähr drei Stunden lang versuchten, „Eleven“ zu verstehen, während wir derweil mehrere Spiele gespielt haben. Wir haben viel gelacht, alle sieben. Jetzt steht „Eleven“ mit drölfzig Erweiterungen in einem Regal und ich frage mich: Warum nur? Aber egal, weiter geht’s, vorbei an Ständen, Tischen, Stühlen, Spielen.
Lamas, Affen und „Jumanji“ bei der Spiel 2023
Da ist auch mal Zeit für ein schnelles, lustiges Foto vor der „Llamas & Alpacas“-Wand (Rezension folgt). Man träumt davon „Gloomhaven“ geschafft zu haben, weil „Frosthaven“ nicht nur in der Halle steht, sondern auch demnächst unterwegs sein müsste (Rezensionen folgen irgendwann, wenn diese Kilo-Monster weit genug vorangespielt sind). Wir treffen auf Noël und seine Familie am Stand von „Douc in Danger“, wo wir eine ergreifende Geschichte über Affen, eine sehr lange Zugfahrt und ein Kartenspiel hören. Und beim Gespräch mit der PR-Mitarbeiterin von Spin Master ist da plötzlich ein unerfreulicher leerer Tisch, auf dem „Jumanji“ aufgebaut ist. Ja, ihr lest richtig. „Jumanji“. Und die Leute sind weg. Sagen wir mal so: Es wird eine Rezension geben, wenn mir nicht das Gleiche passiert, wie denen…
Zum Ende vom ersten Messetag treffen wir noch ode., sitzen auf dem Freigelände und plaudern über „Tinderblox“ und „Planta Nubo„, Entwicklungen und Ideen dazu. Auf dem Weg zurück zum Auto landen wir noch bei „Chicken oder Hotdog“, einem Wurfspiel, bei dem das eine oder andere in nach etwas ganz anderem aussehender Gummiform sich um sich selbst drehend hochgeworfen wird und auf einer Zielscheibe stehen bleiben soll. „Win a Potato!“, „Gewinn eine Kartoffel!“ steht über dem knallgelben Stand, ich werfe und tatsächlich bleibt das Huhn stehen. Yes! Die Kartoffel ist mein!
Auch viel Essen in Essen
Ab nach Hause ins Hotel, das sich nach mehreren Messe-Jahren wirklich ein bisschen wie heimkommen anfühlt und dann zum Essen mit Freunden treffen, ebenfalls aus der schönen Pfalz angereist. Wobei: Wir treffen uns nur mit einem Freund, die Freundin – besser bekannt als Bergziege – war beim Podcast „Einzelspiel“ über den ersten Messetag zu Gast. Unterwegs haben wie einen Teil des „Essen Light Festivals“ gefunden, danach haben wir unser persönliches Essen-Pizza-und-Pasta-Festival eingeläutet. Am Ende des Tages gab’s wenig stilecht, aber pragmatisch herausragenden Rotwein von meinem Bruder aus lila Plastikbechern.
Insgesamt gab’s an allen Tagen wieder viel und gutes Essen und Trinken. An der Stelle sei erwähnt: Nichts davon ist bezahlte Werbung, es war einfach lecker bei Foodbrother, KohleCraftWerk, L’Osteria, Rütteria (inklusive vier älterer Damen am Nebentisch, von denen eine bei verspäteter Ankunft fragte, ob denn wieder Spielemesse sei, weil man nirgends einen Parkplatz finde. Ja, ist es und wir lieben es!) und im Mercure Hotel. Zurück zum Spiel:
Bewegendes Treffen mit Steffen Mühlhäuser
Messetag zwei der SPIEL 2023 brachte zuallererst Fan-Girl-Fotos mit dem Flederrinddrachen und dann ein herausragend lustiges Pressegesprech mit den sehr geschätzten PR-Damen von Kosmos. Ich möchte übrigens immer noch wissen, warum im Hintergrund ständig ein Pferd gewiehert hat. Aber auch ansonsten hatten wir viel Spaß, als es um „Lacrimosa“, „Die Weiße Burg“, „Nunatak“, „My Island“, „MazeScape“ oder „Cascadia: Landmarks“, die Erweiterung des Spiel des Jahres von 2022, ging.
Für mich gab es an dem Messefreitag noch ein bewegendes Treffen. Ich habe bei Steffen Mühlhäuser, 20 Jahre lang Chef von Steffen Spiele die Jubiläumsedition von „Ava“ gekauft (Rezension folgt). Bei Mühlhäuser war ich 2016 im Verlag zu Besuch und durfte hinter die Kulissen schauen. Nun hat er Mitte des Jahres verkündet, in Ruhestand zu gehen. Hocherfreulicherweise wird Steffen Spiele in Mühlhäusers Sinne vom Schweizer Verlag Helvetiq weitergeführt. „Ava“ ist damit Mühlhäusers erstes Spiel gewesen – und nun in der limitierten, signierten Jubiläumsedition sein letztes. Zumindest vorläufig, denn er hat noch spielerische Pläne, dazu mehr im bald folgenden eigenen Beitrag. Das erste Steffen-Spiele-Spiel unter Helvetiq-Führung gibt es auch schon: „Passo“ (Rezension folgt) ebenso wie für die weiteren Neuheiten aus der Schweiz „On the Road“ und „Happy Bee“ (Rezension folgt).
193.000 Besucher bei der SPIEL 2023
Viel gab es zu gesehen, bei Presseterminen, aber auch an Ständen und in Armen von glücklichen Menschen. Neue Beiträge rund um Neuheiten von der SPIEL 2023 wird’s viele geben zu Spielen von bekannten Verlagen wie Piatnik, Pegasus, Kosmos, Trefl, Huch! oder Zoch, aber auch von kleineren Verlagen, die mit tollen Spielen bei der Messe waren. Ich habe außerdem Captain Hook und einen durchgeknallten Ritter getroffen, habe Shogi gefunden und bin am „World’s End Inn“ vorbeigelaufen. Warte. Ende der Welt? Wenn ich daran vorbeigelaufen bin, wo bin ich denn dann jetzt?
Ok, ich kann auch noch ein bisschen ernsthaft, offziell und statistisch: 193.000 Menschen waren in diesem Jahr von 4. bis 8. Oktober bei der SPIEL 2023, sie stammen laut Pressemitteilung des verantwortlichen Merz-Verlags aus 85 Ländern. Die international größte Publikumsmesse für Brettspiele ging diesmal auf 62.500 Quadratmetern über die Bühne – damit war es nach Verlagsangaben die größte SPIEL aller Zeiten. 1700 Neuheiten durften entdeckt werden in sechs Hallen mit 935 Ausstellern aus 56 Nationen. Nur kurz sei hier angemerkt, dass mich die viel diskutierte neue Hallenaufteilung noch nicht recht überzeugt hat. Neuer Versuch im nächsten Jahr.
Und hier noch ein paar Eindrücke von Neuheitenschau und den Messetagen:
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