Da läuft man bei der Neuheitenschau auf der Spiel 2023 im ersten Raum um die erste Ecke und trifft quasi direkt auf Michael Menzel, Autor und Illustrator vom neuen Kosmos-Spiel „Drachenhüter“ – und natürlich auch von „Die Legenden von Andor“ und „Die Abenteuer des Robin Hood“. Nun also Drachen und dann auch noch so außergewöhnlich goldige. Ich bin ein bisschen schockverliebt in diese Tierchen – und teile das dem Erfinder auch genauso mit. Der steht mit verschmitztem Lächeln hinter dem Tresen am Stand und erklärt fröhlich das Spiel und erzählt seine Geschichte.

„Wo die Idee herkam, kann ich gar nicht mehr sagen. Ich hatte zuerst den Mechanismus im Kopf, dass man Karten zieht, aber auch wieder zurücklegen kann, um den Spielverlauf zu beeinflussen. Daraus hätte sich letztlich alles entwickeln können“, verrät er über die Anfänge. Das war bei „Die Abenteuer des Robin Hood“ ganz anders, „da war mir direkt klar, wo ich thematisch hin will“. Die Drachen mussten ihren Weg erst mal finden. Sicher war nur: „Es sollte ein Familienspiel sein und bleiben.“ Irgendwann reifte die Idee, es mit Drachen versuchen zu wollen.
Der Drachen-Trick des Illustrators
Aber: „Jeder assoziiert mit Drachen etwas anderes. Fuchur aus der Unendlichen Geschichte, chinesische Drachen oder die aus dem Film ,Drachen zähmen leicht gemacht‘.“ Darum machten es die Drachen dem erfahrenen Illustrator zunächst unerwartet schwer. Der fand dann aber einen interessanten Dreh, der die Lösung brachte: „Ich bin weggegangen von klassischen Drachen, da hat’s funktioniert.“ Will sagen, dass die Großechsen aus „Drachenhüter“ vielmehr ein Mini-Spiel im Spiel sind. „Finde heraus, an welches Tier Michael Menzel wohl gedacht hat, als er mich gemalt hat?“, scheinen sie dem Betrachter zuzurufen und danach ein bisschen Qualm aus den Nüstern zu paffen. Phantastische Tierwesen, sozusagen. Dabei lächeln auch sie verschmitzt von den Karten gen Spieleerunde, wo sie das wohl herhaben? Mein All-time-Favorit ist übrigens das Flederrind. Hat ja keiner gesagt, dass es existierende Tiere sein müssen, ich meine: Wir reden schließlich über Drachen… Okay, laut Anleitung heißt er Roter Felldrache. Aber Flederrinddrache ist doch auch eine Option, findet ihr nicht?
Zwei Jahre arbeitete Menzel an „Drachenhüter“. Gemeistert hat er dabei die Schwierigkeit, „dass ich etwas machen wollte, was leicht zugänglich ist, aber nicht doof“. Entstanden sei ein Spiel, „das nicht total glücksabhängig ist, aber easy aus dem Bauch raus gespielt werden kann. Und das besser wird, je besser deine Mitspieler sind.“
Aus zwei Kartenstapeln wird Magisches Buch
Na dann mal los mit der Testrunde. Und die hatte mit dem Drachenhüter-Dasein große Freude. Das schnell aufgebaute Spiel besteht hauptsächlich aus zwei Kartenstapeln, das Magische Buch genannt. Die Stapel haben unterschiedliche, wie Buchseiten gestaltete Rückseiten. Auf einem sind je eine Zahl und Belohnungssymbole zu sehen, auf dem anderen eine Drachenart. Je eine Karte pro Stapel wird aufgedeckt und zeigt einen von vier unterschiedlichen Drachen. Unfassbar knuffige, goldige, süße Drachen. Der „Awwwwwwwwww“-Faktor am Tisch war extrem hoch. Man will sie einfach nur fürs Dasitzen knuddeln.
Zudem liegen Jokerdrachen, liebevoll Gegenlichtdrachen genannt, Amulette (nach Zahlwerten von eins bis 20 sortiert), Kristalle, Perlen und Wappen bereit. Alle Spieler außer der Startspielerin bekommen zu Beginn ein bis drei Startkarten auf die Hand. Ende der Vorbereitung. Schon ist aktives Drachenhüten angesagt.
Vier Drachenfarben im Spiel
Wer an der Reihe ist, darf sich bis zu drei aufgedeckte Karten nehmen. Immer wenn ein Spieler einen Drachen nimmt, wird sofort vom gleichen Stapel nachgelegt, sodass immer zwei Drachen und zwei unterschiedliche Buchrückseiten zu sehen sind.
Drachen gibt es als Grüner Sumpfdrache, Blauer Schieferdrache, Roter Felldrache und Weißer Weidedrache. Ziel ist es, genau die Anzahl an Drachen genau der Farbe zu haben, die gerade auf den Seiten des Magischen Buchs zu sehen ist. Dann darf der Spieler exakt diese Drachen vor sich auslegen. Das Problem: Mit jeder genommenen Karte, verändert sich das Buch, man muss also ständig neu prüfen, was gerade zu legen ist. Aber Michael Menzel hat des Drachenhüters Rettung eingebaut: Karten dürfen von der Hand mit der Rückseite nach oben wieder zurück auf das Buch gelegt werden.
Amulett-Stücke und Kristalle als Belohnung
Praktischerweise zeigt jede Kartenvorderseite in klein nochmal die Rückseite. Habe ich also drei Rote Felldrachen auf der Hand, das Magische Buch zeigt aber eine Drei und den Blauen Schieferdrachen, kann ich bei meinen restlichen Handkarten nach dem blauen Drachensymbol auf dem kleinen Buch suchen. Habe ich so eine Karte auf der Hand, kann ich vor dem Auslegen das Buch verändern und dann die passenden Karten auslegen. Hat ein Mitspieler zufällig ebenfalls die richtige Anzahl an Drachen der gewünschten Farbe auf der Hand, darf er „mitauslegen“.
Danach bekommen alle Drachenhüterinnen, die auslegen konnten, die Belohnung, die bei der Zahlkarte auf dem Magischen Buch abgedruckt ist. Das sind Amulett-Stücke, mal ist ein Drachenei, ein Kristall oder ein Gegenlichtdrachen dabei. Kristalle erlauben es, eine vierte Karte zu nehmen. Dracheneier und Amulette bringen am Spielende Punkte.
Gegenlichtdrache als „Drachenhüter“-Joker
Gegenlichtdrachen sind einerseits Joker, sie können also jede Drachenfarbe ersetzen. Andererseits haben sie eine sehr wertvolle Rückseite. Denn meistens dürfen sich die Spieler zur Belohnung ein oder zwei Amulett-Stücke des niedrigsten noch ausliegenden Werts nehmen. Beim Gegenlichtdrachen gilt das auch für das eine Amulett-Stück, das andere ist aber eines mit dem höchsten noch ausliegenden Wert – da kann ein Amulett-Stück am Spielende den Sieg bringen. Jeweils drei Amulett-Stücke ergeben ein ganzes Amulett, in das eine Perle gelegt werden darf. Die Zahlwerte auf Perle und Stücken bleiben bis zum Spielende verdeckt vor den Spielern liegen.
Noch eine Regel verkompliziert den Drachenhüter-Alltag: Die Drachen werden immer farblich passend auf den gleichen Stapel gelegt. Das ist kein Problem, solange es nur zwei Farben sind. Kommt jedoch die dritte hinzu, kann auf die Farbe im mittleren Stapel nichts mehr gelegt werden. Mit der vierten Farbe sind die mittleren beiden Stapel blockiert. Es gilt sich also genau zu überlegen, wann man welche Farbe abschließt. Zugleich lässt sich auch darauf achten, welche Farben die Mitspieler nicht mehr „mitauslegen“ können, weil sie bei ihnen schon blockiert sind.

„Wappen der Vielfalt“ und goldene Eier
Die ersten drei Spieler allerdings, die vier Farben liegen haben, erhalten ein „Wappen der Vielfalt“ – Drachenzüchter wollen schließlich möglichst viele verschiedene Exemplare haben! Die bringen am Spielende 16, zehn und sechs Punkte. Das ist auch nicht zu verachten im Gegenzug dafür, dass dann zwei Farben blockiert sind.
Apropos Spielende: Das wird je nach Spielerzahl eingeläutet, wenn alle Spieler insgesamt eine bestimmte Anzahl Amulette mitsamt Perle vervollständigt haben. Dann sind die goldenen Eier vier Punkte wert. Wer am Ende die meisten Eier hat, darf eines umdrehen und bekommt dafür sogar 16 Zähler und entdeckt, dass auf der Rückseite die Babyversionen der Kartendrachen aus dem Ei hervorlinsen. Die Spieler addieren zu diesen Werten noch die Werte all ihrer Amulettstücke und Perlen und bestimmen so den erfolgreichsten Hüter der Großechsen.
Zaubertruhen bringen Variante
„Drachenhüter“ überzeugt in der erstaunlichen Schlichtheit und gleichzeitigen Komplexität der Spielmechanik. Karten nehmen, Karten zurücklegen, Karten auslegen – darin steckt so viel mehr, als man zunächst denkt. Es verlangt unterhaltsames, kniffliges Grübeln und Puzzlen. Nehm‘ ich die eine Karte jetzt noch? Oder leg‘ ich zurück und dann aus? Der Glücksfaktor ist durch die ständige Kartennachzieherei natürlich gegeben. Trotzdem gibt es genügend Chancen, dem reinen Zufall mit Zusatzzügen, Joker oder Zurücklegen entgegenzuwirken. Und mit einer von sechs Zaubertruhen kommt noch ein bisschen mehr Flexibilität, die je Nutzung einen Kristall kostet, mit klangvollen Namen wie Drachenminze, Schwindel-Feder oder Prisma-Tinte ins Spiel.

Das macht „Drachenhüter“ zu einem ausgewogenen, exzellenten Familienspiel, dass meine Testrunden sehr begeistert hat. Dass dann zum höchst unterhaltsamen Spielablauf auch noch die wunderschönen Illustrationen dazukommen, setzt dem Ganzen die Drachenhüterkrone auf. Mit Sahne und Kirsche. Dazu passender Funfact: Nebeneinander gelegt ergeben die Karten auch noch eine Art Küstenpanorama, weil alle Drachen unterschiedlicher Farbe und Zahl einen eigenen Hintergrund haben, die Küstenlinie aber immer auf gleicher Höhe liegt. Und dann sind diese Drachen halt, ich sag’s gern nochmal, einfach unfassbar liebenswert gezeichnet.

Es sollte „Drachenhüter“-Kuscheltiere geben
Ernsthaft, liebes Kosmos-Team, ihr solltet dringend über Merch in Kuscheltier-Form nachdenken. Die strengstens limitierten Deko-Exemplare auf der Spiel 2023 brauchen Brüder und Schwestern. Ich melde mich auch freiwillig als Pflegestelle, inklusive Dauerbeschallung mit einer „Imagine Dragons“-Playlist, ich hab‘ Drachenhüter-Erfahrung, wirklich!

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