200. Geburtstag hat der Verlag Kosmos im Juli 2022 gefeiert – und was gäbe es für einen besseren Anlass, um im hauseigenen Archiv auf Spurensuche zu gehen? Ein Spaß der besonderen Sorte, den der Stuttgarter Verlag mir ermöglicht hat. Zu erzählen gibt es unfassbar viel, von Alfred Hitchcock über Elektrobaukästen mit Kompass bis hin zu den Klassikern des Spiele-Kosmos. Lasst euch mitnehmen, auf eine Reise in die Geschichte des Verlags, der Spiele und einer wunderbaren Welt – mit vielen, vielen Bildern aus „200 Jahre Kosmos“.
Ins Archiv führt eine Treppe Richtung Keller und eine schwere Tür öffnet sich. Der typische Archivgeruch schlägt einem entgegen, ein bisschen Staub, Papier, an dem der Zahn der Zeit nagt. Immerhin liegen fast 200 Jahre alte Bücher in den Regalen, denn Kosmos ist mehr als nur ein Brettspielverlag. Nach der Verlagsgründung 1822 fing alles mit Romanen an, ehe es zu naturwissenschaftlicheren Themen ging, die bekannten und beliebten Experimentierkästen folgten, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiern. Und danach erst kamen die Spiele.
200 Jahre Kosmos begannen mit einem allerersten Buch, das 1823 unter dem Titel „Phaeton“ erschien, steht nicht im Archiv, für die Jubiläumsausstellung in Stuttgart hat Kosmos es über die Badische Landesbibliothek beschafft. Das älteste beim Stöbern gefundene Buch ist aber nicht viel jünger: 1827 und „Walter Scott“ steht auf einem Papier, das neben den Bänden von historischen Romanen wie „Ivanhoe“ oder „Der schwarze Zwerg“ herausragt. Unweit der alten Werke hängt auch ein historischer Stammbaum des Verlags, der 1822 wurzelt und Äste bis ins Jahr 1955 hat.
200 Jahre Kosmos beginnen als Franckh’sche Verlagsbuchhandlung
Gegründet hat den Verlag Johann Friedrich Franckh als Franckh’sche Verlagsbuchhandlung. Vier Jahre später stieg sein Bruder Friedrich Gottlob mit ein, der sich in einer Zeit politischer Umbrüche gegen Zwänge der Monarchie wehrte, gar an einer Verschwörung gegen das Königshaus beteiligt war und dafür zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Nach seiner Entlassung blieb es zunächst beim Buchverlag, bis erst Friedrich Gottlob im Jahr 1845 und dann sein Bruder 1865 verstarb.
1893 wird der Verlag von Walther Keller und Euchar Nehmann für 20.000 Goldmark übernommen – und wird naturwissenschaftlich geprägt. Das zeigen viele Bücher, die verlagseigene Zeitschrift „Kosmos“, mit naturnahen Zeichnungen als Cover und verständlichen Texten im Inneren, aber auch schöne Plakate mit Flugzeug, Eisenbahn oder Tiger, mit denen früher geworben wurde.
Ratgeber und Sachbücher – 200 Jahre Kosmos
Bücher gibt es natürlich weiterhin, inzwischen hauptsächlich Ratgeber und Sachbücher, aber auch Kinderbücher. Wie erziehe ich meinen Hund richtig? Was müssen Anfänger beim Angeln wissen? Dazwischen sind aber auch Garten- oder Kochbücher zu finden, eines gar noch mit Duftölen, die Zitrusaroma verbreiten. Oder man stolpert über Kuriositäten wie den Golfroman „Golf-Gaga“ oder „Eigener Herd – Das Überlebensbuch für alle Haushaltsanfänger“.
Da steht auch mal im Regal über dem „Hi-Fi-Stereo-Lehrgang 3“ das Buch „Schönes Indonesien“. Stunden ließen sich hier zubringen, auch weil man mal kurz auf die Metaebene hüpfen kann: Eine Graphic Novel über 200 Jahre Kosmos, „Das rätselhafte Archiv“ genannt, liegt logischerweise auch hier und ist Teil des Archivs. Aber eigentlich sind wir doch wegen der Spielwarenabteilung hier.
Die gesammelten Werke von „Die drei ???“
Also: Weg von den Büchern und Kästen, zurück zum Eingang. Dort schlagen die Herzen ganzer Generationen höher. Regale versammeln die Kassetten und CDs von „Die drei ???“. Hierzu hat Heiko Windfelder, Verlagsleiter Spielwaren bei Kosmos, eine Anekdote zu berichten: Als die Reihe, die 1964 in den USA startete, 1968 durch den Stuttgarter Verlag auch nach Deutschland kam, hatte die Serie mit einem anderen Design und Cover überschaubaren Erfolg.
Eine Grafikerin hatte damals als Versuch das prägnante schwarze Design mit den drei Fragezeichen in Blau, Weiß und Rot vorgeschlagen. Zunächst hieß es, „ein schwarzes Buch verkauft sich eh nicht“, probiert hat man’s trotzdem. Daraus resultierte eine Marke, die heute noch ein „wesentlicher Punkt in der Kosmosgeschichte“ ist, sagt Windfelder.
Ein Treffen mit Alfred Hitchcock
Apropos „Die drei ???“: Auf dem Tisch im Archiv liegt gerade ein zwei Seiten langer Ausdruck mit dem Titel „Ein verspäteter Reisebericht: Besuch bei Alfred Hitchcock … oder: Die drei ??? und der Kampf mit dem Manager“. Bitte was? Von vorne. Hitchcock war zu Beginn der Reihe in den 1960-er Jahren deren Schirmherr. Ein fiktiver Hitchcock hatte auch in den frühen Fällen der drei jungen Detektive immer wieder kleine Auftritte.
Nun weilte Hitchcock anlässlich der Veröffentlichung seines Films „Frenzy“ in Deutschland und das Kosmos-Jugendbuchlektorat, das für die deutsche Fassung der „Drei ???“ zuständig war, wollte ihn treffen. 30 Minuten lang sollte der Großmeister der Spannung zur Verfügung stehen. Zuvor gab es aber einen unentspannten Manager und diverse Terminverschiebungen zu ertragen. Das schien es aber wert zu sein. Denn Hitchcock ließ sich nicht nur in einem Cello-Koffer ablichten, er signierte Bücher, zeichnete, lachte, plauderte und hinterließ bleibenden Eindruck beim Kosmos-Trio. Ein Foto im nahen Regal dokumentiert das Treffen.
Raus mit Klischees aus alten Folgen
Wobei auch heute noch an älteren Folgen gearbeitet wird, wie der Verlagsleiter erzählt. „Wir haben früh begonnen, Klischees rauszunehmen“. Das sei aber nicht einem aktuellen Trend gefolgt, es sei vielmehr „vernünftiges Handeln“, man wolle niemanden beleidigen oder ausgrenzen. „Das ist aber auch der Anspruch der Leute, die das schreiben“, betont er.
Elektro-Experimentierkasten – damals und heute
Gleiches gelte für die Spielewelt, in der sich alle angesprochen fühlen sollen. Und in diesem Archivteil lässt sich so wunderbar viel entdecken. Zur naturwissenschaftlichen Ausrichtung passen die Experimentierkästen von damals wie heute, die in den Regalen schlummern. Einer der Ältesten stammt aus dem Jahr 1931 und war noch aus Holz. Ein Nagel purzelt zu Boden, als die Box aus dem Regal genommen wird. Öffnet man den Schiebedeckel, ruht darunter allerlei Gerät inklusive Kompass. Und legt man fast 100 Jahre später den aktuellsten „Easy Elektro – Start“-Karton daneben, ist passenderweise auch darauf ein Kompass zu sehen, nur eben ein bisschen moderner.
Und dann geht es los mit den großen und kleinen, meist kunterbunten Boxen. Einige enthalten auch Puzzle, von den „normalen“ hat sich Kosmos inzwischen verabschiedet. Rätselpuzzle der „Drei ???“ oder aus der Exit- oder Murder-Mystery-Files-Reihe bleiben aber im Programm.
Spielethemen: Auf Fußball folgt Sherlock Holmes
Das erste Spiel stammt aus dem Jahr 1932, heißt „Schuss auf’s Tor! (Tisch-Fussball)“, ja, mit Apostroph! Darunter ist auf der Schachtel zu lesen: „Dies ist nicht nur ein Würfelspiel. Es führt Verstand und Mut zum Ziel.“ Warum ausgerechnet Fußball das Thema war, ist nicht überliefert.
Beim nächsten wichtigen Spiel, „Sherlock Holmes – Criminal-Cabinet“, ist die Lage einfacher: Schon im Erscheinungsjahr 1985 wusste die Spielgemeinde offenbar einen guten Krimi zu schätzen, warum dann nicht ein Krimi-Spiel? Den heutigen Ermittlungs- und Rätselspielen gar nicht so unähnlich, ruht in dem buchförmigen Karton einiges, liebevoll gestaltetes Material inklusive einer Karte von London, einem Buch der Indizien, ein „Londoner Adressbuch“ und ein Zeitungsarchiv. Damals wie heute gilt es zu ermitteln, was geschah. Das überrascht, scheint der Trend zu Krimi-Spielen doch erst einige Jahre alt zu sein. Die Methode funktionierte aber früher schon bestens, denn „Sherlock“ war damals das allererste Spiel des Jahres aus dem Hause Kosmos.
200 Jahre Kosmos – das sind auch viele Spiele und Kennerspiele des Jahres
In einem Regal stapeln sich die Spiele aus der „Edition Perlhuhn“. Aus dem Jahr 1986 stammen „Onagi“ und „Pirate Inc.“. Mit rollbaren Spielplänen aus Kunststoff und schon mit mehrsprachiger Anleitung wirken auch sie moderner, als man es bei einem fast 40 Jahre alten Spiel erwarten würde.
Weitere „Spiel des Jahres“- oder „Kennerspiel des Jahres“-Preise folgten, wie für den Klassiker schlechthin, „Die Siedler von Catan“, heute nur noch „Catan“ genannt. Oder „Keltis“ , „Exit – Das Spiel“ und „Die Legenden von Andor“, das ähnlich wie „Catan“ zu einem ganz eigenen Universum mit vielen Spielen, Erweiterungen, Büchern und einer äußerst aktiven Online-Community wurde.
„Hundertwasser – DieHoelzerSiebeN“
Was analog vorliegt, liegt auch in den Regalen – teils neben vielen Spielen, die bekannte Namen tragen. Von der Twilight-Saga über die Scheibenweltromane bis zu den Geschichten von Harry Potter, Sams und Herr der Ringe – Kosmos hat die Spiele dazu. Oder auch „Der Hexer von Salem“, der meine Leidenschaft für Spiele geweckt hat. Und wir stoßen auf ein kurioses Schwergewicht: „Hundertwasser – DieHoelzerSiebeN“, eine Art dreidimensionales Tangram-Puzzle, in dem der Spieler nach Vorgaben mit kunterbunten, hundertwassertypischen Bausteinen Häuser baut. Gebraucht wird das wunderschöne Werk ab 400 Euro gehandelt. Sammler kriegen wohl Schnappatmung dabei, dass man hier einfach mal in die Holzschatulle schauen kann.
Nur schwer kann man sich lösen vom Archiv im Kosmos-Keller, von der Welt der bunten Holzschachteln mit so vielen Würfeln, Figuren, Karten, Geschichten, kreativen Ideen und auch Erinnerungen. Tief eintauchen durfte ich in diese „200 Jahre Kosmos“. Mögen noch viele Jahre mit unterhaltsamen Spielen folgen, die dann auch alle ihren Weg ins Archiv finden. Für 250 Jahre Kosmos ist dann noch viel mehr zu entdecken. Ich komm‘ dann auch gerne wieder…
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