Empamos: Esperanto der Spiele-Welt

Empamos ist klug. Empamos ist groß. Empamos ist eine KI. Eine Community. Ein Forschungsprojekt der Technischen Hochschule Nürnberg. Eine Art zu denken, Probleme zu lösen, weiterzukommen. Kreativ, anregend, spielerisch. Wenn ihr mich fragt, ist Empamos aber auch eine Möglichkeit, dass wir Rezensenten von Spielen uns eine gemeinsame Sprache geben. Dass wir in Kategorien kommunizieren können, warum etwas funktioniert, Spaß macht, zum Wiederspielen reizt – oder eben nicht. Ja, wir haben BGG, wir haben Zahlen oder Sterne oder das „Gewicht“ eines Spiels als Ranking. Wir haben Mechaniken und Komponenten. Aber haben wir wirklich ein gemeinsames Vokabular, das tiefer geht? Empamos kann das sein. Eine Art Esperanto für die Spielewelt.

Der Gedanke beschäftigt mich, seit ich Empamos zum ersten Mal „begegnet“ bin. Mitte Februar war ich bei einem Treffen der Apex-Ideenschmiede mit Professor Dr. Thomas Voit, Wirtschaftsinformatiker und Dekan der Fakultät Informatik der Technischen Hochschule Nürnberg. Das Ziel: Austausch und gegenseitiges Verständnis für die geplante und tatsächliche Anwendung von Empamos zwischen Wissenschaft und Spielentwicklung. Danach wollte ich mehr wissen. Viel mehr.

Von vorne: Empamos ist das Akronym für Empirische Analyse Motivierender Spielelemente. Klingt in Langform sperrig, ist es inhaltlich ganz und gar nicht. Empamos ist ein Tool, das aus einer Mischung aus einer Web-App mit KI-Assistenz und einem analogen „Handwerkskasten“ mit Karten, Post-its und Holzmarkern besteht und beispielsweise zur Unternehmensberatung, zum Coaching, zum Changemanagement oder zur Prozessoptimierung einsetzbar ist.

Motivation aus Spielen im spielfremden Kontext

Ziel ist, bestenfalls zusammen mit dem betroffenen Team Motivationskonzepte zu entwickeln, die ein Unternehmen voranbringen, weil die Mitarbeiter nach Umsetzung der Konzepte engagierter und motivierter sind. Dafür nutzt Empamos, sehr verkürzt gesagt, Elemente aus Spielen in spielfremdem Umfeld. Ich bin mir sicher: Das wiederum können wir aus der Bubble der Spielebegeisterten ebenfalls nutzen, nur eben wieder zurück in Richtung Spiel gedacht.

Blicken wir in die Empamos-Entstehungsgeschichte. In den 2010er-Jahren war Gamification ein Hype um Motivation und Verhaltensänderung in spielfremden Kontexten, den Voit heute als „chocolate-covered Broccoli“ bezeichnet. Und das ist so falsch, wie es klingt, hat sich aber sehr nachhaltig in meinem Kopf festgesetzt, Thomas – danke dafür.

Keiner will Broccoli mit Schokosoße

Gamification sprang zu kurz, nahm nur oberflächlich Spielerisches wie Siegpunkte, Leaderboards oder Badges und pfropfte das auf Vorgänge und Prozesse, ohne den Hintergrund zu verstehen. Das Positive aus dem Spielekontext, die metaphorische Schokolade, verdeckte das darunterliegende Grünzeug nur. „Das Spielerische hatte sich nicht mit dem Inhalt verbunden und dadurch hat sich in den Anwendungsgebieten nichts verbessert“, erklärt Voit. Man merkte schnell: Es ist immer noch roher, ungewürzter Broccoli und die Schokosoße macht’s eher schlimmer als besser.

Den Fachinformatiker ließ der Gedanke aber nicht los, dass Brettspiele und Motivation sehr wohl zusammengehören, genauer gesagt: Hinter Brettspielen stecken tiefere, motivierende Strukturen. Oder in Voits Worten: „Spiele sind angewandte Motivationspsychologie“.

Empamos spiegelt Spiel zurück ins Leben

Ein wichtiger Ansatz: „Zum Spielen kann man niemanden zwingen. Wir tun das freiwillig. Etwas am Spielen spricht uns zutiefst an. Das hat Gamification gedacht, aber nicht zu Ende gebracht“, sagt Voit.

Nun entwickeln Spieleautoren aber bekanntermaßen seit Jahrtausenden Mechanismen, die Spieler motivieren zu spielen, weiter zu spielen, wieder zu spielen. Nicht zu vergessen: Sie nehmen diese Mechanismen aus dem Leben, dem Alltag. Es sind Ressourcen, Ziele, Rollen, Belohnungen oder Aufgaben. „Spielelemente sind aus der Realität geklaut, fein poliert und geschliffen – sodass der Spaß dabei herauskommt“, erklärt Voit. Empamos spiegelt das zurück ins reale Leben.

Viel Arbeit fürs Empamos-Team

Bis es soweit war, stand aber noch ein Berg Arbeit vor der Empamos-Crew. „Uns fehlte die Information: Welche Mechanismen sind relevant? Das war empirisch nicht erforscht. Viele haben Listen von Mechanismen, aber keiner kann sagen, was die Funktion ist. Keiner sagt, wann welches Element zu verwenden ist. Das ist, als würde ich kochen und wüsste nicht, wann welche Zutat in den Topf gehört und was damit passiert. Dabei gehört dieses Wissen doch dazu!“, betont der Professor. Das brachte ihn zum Schluss: „Spieleentwicklung ist eine Kunst, die der Wissenschaft komplett verschlossen ist.“

Und dem wollte er begegnen oder – um es spielerisch zu sagen: Der Forscher nahm die Quest an. Was dazu führte, dass er, sein Team und seine Studierenden die 20 Minuten Fußweg von der Fakultät zum Deutschen Spielearchiv hinter sich brachten. Häufig. Sehr häufig. Und in den Empamos-Anfangsjahren von 2016 bis 2018 spielten, spielten und spielten.

Empamos: forschender Blick in die Spielewelt

Es war und ist der zuvor fehlende, gründliche forschende Blick in die facettenreiche Spielewelt. Dabei ist Voit wichtig, nicht die Kunst, der Spielentwicklung zu entzaubern. Es ging vielmehr darum, den handwerklichen Teil dahinter zu verstehen: „Kunst entwickelt sich nur weiter, wenn nicht jeder immer wieder von vorne anfangen muss.“

Für Empamos wurden verschiedene Theorien einbezogen, die sich mit Motivation und Mustern befassen. Nach der Selbstbestimmungstheorie von Edward Deci und Richard Ryan gibt es drei Säulen der intrinsischen, also aus eigenem Antrieb stammenden Motivation: das Streben nach sozialer Eingebundenheit, Autonomie und Kompetenz.

Woher kommt Motivation?

„Menschen tauchen in digitale und analoge Spiele ein, weil sie eine ziemlich zuverlässige Dosis dieser drei Säulen liefern. Das ist eine Wirkmächtigkeit, die die Relität nicht hat“, beschreibt Voit und nennt eine weitere Theorie: das Erweiterte Kognitive Motivationsmodell nach Heinz Heckhausen und Falko Reinberg. Aus diesem Modell resultiert die vierte Säule: die Bedeutung, die im Spiel immer eine Folge nach sich zieht. Das, was der Spielende tut, ist sinnvoll, weil das, was daraus folgt, wichtig ist. Die Spielerin sammelt Gegenstände, tauscht sie gegen etwas anderes und besitzt danach etwas Neues.

Heißt also zusammengefasst: Wir spielen motiviert, weil wir uns und unser Handeln dabei als kompetent, selbstbestimmt, sozial eingebunden und/oder bedeutungsvoll empfinden. Aber das reichte noch nicht, um Motivation in Spielen fundiert zu begründen.

Wiederkehrende Spielelemente

Die Forschung ging tiefer und nutzte die Mustertheorie des Architekten und Mathematikers Christopher Alexander. „Übertragen auf unser Projekt bedeutet das, dass sich in Spielen Muster anreichern und entdeckt werden müssen. Wir müssen den Dingen Namen und Definitionen geben“, erklärt Voit. Wichtig war dabei, überlappungsfreie Elemente zu finden. Denn nur so sind sie klar zu benennen – und später miteinander in Beziehung zu setzen.

In einem jahrelangen Prozess hat das Team nicht nur gespielt, sondern dabei die Anleitungen ausgewertet, Spielelemente weggenommen, das Spiel „kaputt gemacht“, um zu sehen, warum das Element aus Motivationsgründen wichtig ist, damit das Spiel funktionieren kann. Ein simples Beispiel: Man entferne den Würfel, also das Zufalls- oder Glückselement, aus „Mensch, ärger‘ dich nicht“. Jeder darf rücken, wie er will. Kaputter kann man dieses Spiel kaum machen.

Von Elementen, Motivation und Misfits: Empamos entsteht

„Wenn wir ein Element in mindestens 25 Spielen gefunden haben, haben wir es in die Empamos-Elemente aufgenommen. Danach haben wir überlegt, wie zu erklären ist, dass dieses Element eine der vier Säulen der Motivation anspricht“, berichtet der Wissenschaftler.

97 Elemente sind bislang so entdeckt worden. Empamos kennt sie zusätzlich zu den vier Motivationen. Außerdem gibt es 25 sogenannte Misfits, sozusagen Fehler in der Matrix. Sie sind Punkte, an denen die Motivation abbricht, weil ein Spiel keinen Spaß mehr macht. Im Umkehrschluss werden die 97 Elemente eingesetzt, um dafür zu sorgen, dass das nicht passiert. Mehr als 8300 Spielanleitungen sind dafür ausgewertet worden und füttern einerseits die Empamos-Datenbank und sind andererseits in Kartenform in den analogen Empamos-Toolboxen zu finden.

Anwendung der Empamos-Methoden

Aber wie ist das in spielfremden Kontexten erlebbar zu machen? Im ursprünglichen Sinn lässt sich mit den Mitteln der Toolbox eine Situation in einem Unternehmen beschreiben. Mit verschiedenen Methoden können dafür Lösungen erarbeitet werden. Dafür brauchen wir Karten mit Misfits und Spielelementen, die bewertet, mit Post-its beklebt und beschriftet oder miteinander in einer Art Raster ausgelegt und mit Verbindungsstückchen aus Holz zusammengefügt werden.

Diese Methoden führen am Ende dazu, dass die Teilnehmenden sich mit Fragen auseinandersetzen. Warum ist eine Situation oder ein Prozess motivierend oder auch nicht? Ist die Entscheidungsunsicherheit zu groß? Sind die Regeln zu kompliziert? Was ließe sich verändern, um das zu verbessern? Können Rollen klarer definiert oder Ressourcen besser verteilt werden? Das passt im Kontext eines Spiels ebenso wie im Kontext eines Unternehmens, oder? Dabei wächst auch das Verständnis füreinander und für die Frage, für wen welche Säule der Motivation essenziell ist.

Zufall als wichtiger Baustein des Perspektivwechsels

Der spielerische Kontext hilft, weil er die Perspektive wechselt, auch wenn man manchen erst klar machen muss, dass Spiele nicht nur was für Kinder, Alte oder Nerds sind. Auch Zufallselemente bringen einen anderen Blickpunkt ins „Spiel“ Empamos. Wie im Spiel bewegt der Zufall auch in der Lösungssuche zum Neudenken, Umdenken, Andersdenken, weil er Unerwartetes in die Überlegungen bringt. Und ja, dann diskutieren auch Menschen in Uniform plötzlich über „Lotti Karotti“.

Was abstrakt klingt, funktioniert, wie die stetig wachsende Empamos-Community zeigt. Die wiederum hat Zugriff auf die Empamos-Web-App, mit der die Kartenmuster ins Digitale übertragen und dann wiederum von der KI-Assistenz ergänzt werden können.

KI-Assistenz als helfendes Werkzeug

Empamos setzt Motivationssäulen, Elemente und Misfits in Beziehungen zueinander. „Wozu ist eine Verbindung zwischen zwei Elementen da, welche Beziehung und welche Säule der Motivation wird hier angesprochen?“, sind Fragen, auf die die KI-Assistenz laut Voit Antworten gibt.

Und hier wiederum liegt ein großer Nutzen für Spieleentwickler, die einerseits erkennen können, welche Elemente zwar sicher funktionieren, aber auch schon oft benutzt wurden, und auf welchen Pfaden noch keiner langgelaufen ist. Sichtbar kann so auch werden, welches Molekül, also welche Verbindung von Elementen, nützlich ist, um eine bestimmte Säule der Motivation anzusprechen. Empamos kann auch auf mögliche Misfits hinweisen und so bei der Prototypentwicklung unterstützen. In aller Deutlichkeit: Hier soll kein kreativer Prozess durch KI ersetzt werden, die Kunst der Entwicklung bleibt, was sie ist. Aber wie wir in anderen Kontexten KI als helfendes Werkzeug nutzen, ist das auch hier sinnvoll möglich.

Empamos – eine gemeinsame Sprache für die Spielewelt?

„Empamos ist ein Ideen-Trampolin. Es funktioniert nicht ohne eigenen Einsatz von Energie, Lust, Kreativität und Neugier. Aber dann kann es zu weiten Sprüngen führen“, fasst Voit zusammen. Und ich mag wirklich viel an diesem Gedanken. Weshalb ich mich noch eine ganze Weile mit Spielelementen, Misfits und Motivation befasse und das nach und nach auch rückwirkend in meine Rezensionen einfließen lassen möchte. Es ist ein Versuch, in den noch einige Überlegungen einfließen werden, bevor es wirklich soweit ist.

Aber wenn man es recht bedenkt: „Unsere Sprache besteht aus 26 Buchstaben. Daraus entsteht die Welt“, sagt der Wissenschaftler Voit. Als Journalistin und Rezensentin sage ich: Empamos hat 97 Elemente. Das sollte doch reichen, um daraus eine gemeinsame Sprache der Spielewelt entstehen zu lassen.

Kommentare

2 Antworten zu „Empamos: Esperanto der Spiele-Welt“

  1. Wow 🙂 was ein großartig recherchierter Artikel. Vielen Dank fürs Teilen dieser spannenden Erkenntnisse.

    1. Danke schön!

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