Am Hof des Reihers im Japan des Jahres 1761 ringen Familien um die Gunst des Daimyo Himeji, also des Fürsten der Region. Das erleben wir in „Die Weiße Burg“ von Sheila Santos und Israel Cendrero, einem schwergewichtigen, auf wenige Züge reduzierten Spiel, in dem ausgeklügelte Kettenaktionen zum Sieg führen.
Mit Sheila Santos und Israel Cendrero, genannt Shei und Isra, habe ich bei der Spiel 2023 über ihr Spiel gesprochen. Isra hat mir ausführlich die Mechanik erklärt, danach war klar: Das möchte ich testen. Der junge Spanier nennt es ein klassisches Euro-Game, bei dem ihm und Shei die Mechanismen wichtig waren. Das Thema der namengebenden japanischen Burg entstand erst danach.
Kosmos macht für Devir den deutschsprachigen Vertrieb
Die Zusammenarbeit mit Kosmos kam über dessen spanischen Partnerverlag Devir zustande. Das betraf „Die Weiße Burg“ sowie das Kennerspiel „Lacrimosa“ (Rezension folgt) und das Solo-Labyrinth-Spiel „Mazescape“.
„Wir machen für Devir den deutschsprachigen Vertrieb“, erklärt Anna Sapatra, bei Kosmos für Kommunikation rund ums Thema Spiel zuständig. Das war schon bei „Die Rote Kathedrale“ so, ebenfalls ein Spiel von Shei und Isra, so. „Devir ist ein langjähriger Partner von uns. ,Die weiße Burg‘ ist aber der erste Titel, der gleichzeitig auf Spanisch, Englisch, Portugiesisch, Französisch und Deutsch veröffentlicht wurde“, berichtet Silke Ruoff, Leitung PR und Kommunikation bei Kosmos, und ergänzt: „Das Spiel erschien sozusagen weltweit gleichzeitig.“ Eine Seltenheit in der Spielewelt.
Durchdachtes, anspruchsvolles Spiel
„Die Weiße Burg“ hat aber nicht nur deshalb eingeschlagen und reihenweise gute Kritiken abgeräumt, sondern vor allem, weil es ein extrem durchdachtes, anspruchsvolles Spiel ist, das im Gegensatz zu vielen anderen trotz seiner Komplexität eben keine zwei, drei Stunden dauert. Jeder Spieler hat genau neun Züge, danach endet eine Partie. Punkt. Diese Reduktion, die am Anfang vielleicht frustrieren kann, ist zugleich eine große Stärke des Spiels, weil es zur ausgeprägten Fokussierung zwingt.
Entscheidend für diese neun Züge sind Würfel. Es gibt sie in Rot, Weiß und Schwarz und es gibt von jeder Farbe einen mehr als Spieler am Tisch sitzen. In drei Runden wird zu Beginn gewürfelt, danach landen die Würfel auf farblich passenden Kartonbrücken am linken Spielplanrand. Die Spieler nehmen reihum Würfel, bis jeder drei genommen hat. Danach beginnt die nächste Runde.
Wichtige Würfelwerte bei „Die Weiße Burg“
Ein Würfel wird auf einem Würfelfeld eingesetzt. Sind mehr oder weniger Augen auf dem Würfel als auf dem Spielplan, erhält man die Differenz als Münzen oder muss sie bezahlen.
Einsätze sind auf dem spielereigenen Familien-Tableau möglich oder auf dem Spielplan in der dreistöckigen Burg des Daimyo, außerhalb der Burgmauern oder am Brunnen. Je nach Einsatzort ergeben sich daraus Einnahmen (schwarze Zahl) oder Kosten (rote Zahl). Die „Währungen“ sind Münzen, Siegel, Siegpunkte, Einflusspunkte oder Ressourcen, sprich Eisen, Nahrung oder Perlmutt.
Figuren auf Garten, Burg oder Übungsplatz einsetzen
Oder ein Spieler kann dank des Würfels eine der drei Aktionen in Garten, Burg oder Übungsplatz nutzen, wofür er passende Figuren vom Familien-Tableau auf den Spielplan setzt. Je mehr Figuren eingesetzt sind, desto höher sind Ressourcenerträge, die es per Würfelfeld auf dem Familien-Tableau zu verdienen gibt.
Die Arbeit eines Gärtners kostet Nahrung, dafür darf er auf einen Stein- oder Pflanzengarten links oder rechts der Brücken wandern und auch dort Ertrag bringen oder Zusatzaktionen generieren.
Von Kriegern und Höflingen
Krieger trainieren auf einem der drei Übungsplätze. Wer den angegebenen Preis in Eisen bezahlt, erhält je nach Übungsplatz die entsprechende Belohnung.
Und dann wären da noch die Höflinge, die zunächst am Burgtor mit zwei Münzen um eine Audienz bitten und in weiteren Zügen am Hof aufsteigen wollen. Das kostet Perlmutt und bringt die Karte, die in dem Raum liegt, in dem die Bewegung des Höflings endet. Sie landet auf dem Familien-Tableau. Die Karte, die zuvor dort lag, kommt in den sogenannten Laternen-Bereich, in dem sich nach und nach immer mehr Symbole der verschiedenen „Währungen“ansammeln.

Immer besserer Laternen-Bonus
Dieser Bereich wird vom Laternen-Bonus ausgelöst. Wer den Würfel mit der niedrigsten Augenzahl wählt, erhält diesen Bonus. Er kann aber auch über manche Würfelfelder oder im obersten Stock der Burg aktiviert werden und ist zum Ende der Partie hin ein immer wertvollerer Ressourcen- und Punktelieferant. Da lohnt sich die Überlegung, ob man den niedrigsten Würfel und für dessen Einsatz Kosten in Kauf nimmt, die der Laternen-Bonus dann aber im Ertrag mehr als wieder reinholt.
Weil all das in neun Zügen noch nicht genug Auswahl ist, hätten wir auch noch Siegel des Daimyo, die gegen Ressourcen getauscht oder zum Fortschritt auf der Jahreszeitenleiste genutzt werden können. Über die Leiste wird der wichtige Startspieler festgelegt.
Einflusspunkte bestimmen Reihenfolge
Die Spieler rücken hier ihre sogenannten Einflusspunkte, von Kranichen symbolisiert, nach vorn. Bäume im Wandel der Jahreszeiten sind eine Arzt Grenze, die nur mit Siegeln überschritten werden kann.

Je weiter vorn man steht, umso mehr Siegpunkte gibt es am Ende. Die eingesetzten Krieger, Gärtner und Höflinge werden dann ebenso gewertet wie übrige Ressourcen.
Wer gewinnt die Gunst des Daimyo in „Die Weiße Burg“?
Schließlich steht fest, wer am höchsten in der Gunst des Daimyo steht. Der Weg dahin das ist wirklich knackig.
Das Material ist schön gestaltet, allein das Auspöppeln der schmalen Ausstanzungen bei den Brücken vor dem ersten Spiel war schwierig. Einmal zusammengebaut sind sie ein Hingucker auf dem Spielplan. Zudem steckt die kleine Schachtel voll Material, da ist kaum Luft verpackt. Außerdem ist der Spielplan über die immer wieder ne auszulegenden Karten und Plättchen sehr variabel, was für eine hohe Wiederspielbarkeit ohne Langeweile sorgt. Auch ein Solomodus ist enthalten.
Extremform der Zug-Verknappung
Es sind aber radikal wenige Züge, in die sehr viel Spiel komprimiert ist. Das muss man mögen. Gerade zu Beginn erschließt sich die Kürze nicht. Warum nicht ein, zwei Runden mehr, um wirklich Ertrag zu ernten und voran zu kommen und sich nicht nach „Ich bin doch aber noch nicht fertig“ zu fühlen? Da ist der Rundenanzeiger unerbittlich – nach drei Umläufen ist Schluss.

Beschäftigt man sich aber ausführlicher damit, entwickelt „Die Weiße Burg“ einen ganz speziellen Reiz, vor allem für Freunde ausgetüftelter Kettenzügen, bei denen ein eingesetzter Würfel plötzlich fünf Dinge in Folge auslöst, was Mitspieler zur Verzweiflung treiben kann. Klar, da kommt es auch mal zur Analyse-Paralyse, trotzdem ist „Die Weiße Burg“ gerade in der Extremform der Zug-Verknappung ein bemerkenswertes Spiel, das aus dem hohen Stapel ausufernder Euro-Games heraussticht. Wem es trotzdem zu kurz ist: Einfach noch eine Runde spielen um die Gunst des Daimyos.
Erweiterungen
Für „Die Weiße Burg“ gibt es (Stand Januar 2025) die Erweiterung „Die Tee-Zeremonie“. Außerdem gab es bei der SPIEL 2023 auch eine Mini-Promo.

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